„Und, bin ich jetzt ein mutiger Vogel?“ fragt Simon mit piepsiger Stimme und flattert dabei mit angewinkelten Armen, als würde er den Ententanz vorführen. „Neiiin!“ schallt es ihm aus 21 Kehlen entgegen. Also breitet Simon die Arme aus, lässt sie schwingen wie ein Adler und fragt mit tiefer Stimme: „Und, bin ich jetzt ein mutiger Vogel?“ Ja, das ist er, und das erkennen auch die Kinder aus der Klasse 2d an der Heinrich-Mumbächer-Schule sofort. Die Geschichte vom ängstlichen oder mutigen Vogel, der gerne Limo trinken würde, von seiner Frau aber nur Fisch bekommt, ist Teil des Projekts „Prima Klima – Mut tut gut“, das Ende Juni in allen Klassen der Bretzenheimer Grundschule stattfand. Und Simons Performance ist nur eine von zahlreichen Übungen, die den Kindern beibringen soll, eigene Gefühle zu zeigen und die von anderen zu erkennen.

Mutige Vögel in der 2d

Simon ist einer von acht Trainerinnen und Trainern des Netzwerks Rheinland, die im Juni an der Heinrich-Mumbächer-Schule waren. Finanziert wurde die Präventionswoche durch Zuschüsse des Ministeriums und des Vereins Funkelstern, Spendengelder der Mainzer Volksbank, der Stadt Mainz und von Lotto Rheinland-Pfalz sowie einen geringen Elternbeitrag. Ziel des Projekts ist es, Kindern das Nein-Sagen beizubringen, wenn sie unter Druck gesetzt werden, egal ob von Gleichaltrigen oder Erwachsenen. Im Zuge des Trainings beschäftigen die Schülerinnen und Schüler sich mit ihren eigenen Emotionen und lernen Konfliktbewältigungsstrategien kennen. In Ansatz und Methode variieren die Spiele und Übungen von Jahrgang zu Jahrgang.

In der ersten Klasse ging es in der Workshop-Woche hauptsächlich ums Miteinander. Die Kinder haben sich mit magischen Worten beschäftigt: „Bitte“ und „danke“, aber auch „Stop“ und „Es tut mir leid.“ Vermittelt wurde also nicht nur, dass man freundlich zueinander sein soll, sondern auch, dass jedes Kind Grenzen setzen darf und andere diese Grenzen akzeptieren müssen. Und es geht nicht nur um das Miteinander zwischen Kindern, sondern auch um die Frage, was Erwachsene dürfen und was nicht. Natürlich lernt der erste Jahrgang auch, was eigentlich alle schon wissen: niemals mit Fremden mitzugehen. Die Botschaft kommt an: als Trainer Manno einen tollen Zaubertrick vorführt und danach verspricht, dem mutigsten Kind, das sich traue, mit ihm zum Auto zu kommen, schenke er die Zauberutensilien, springt niemand auf und geht mit ihm. Alle rufen „Nein, das dürfen wir nicht.“

Aufmerksame Zuhörer für Trainer Manno in der 1c

In der dritten Jahrgangsstufe geht es nicht mehr allein um praktische Übungen und Beispiele. Natürlich kommen auch hier Spiele und interaktive Methoden zum Einsatz, aber die Kinder beschäftigen sich auch auf theoretischer Ebene mit der Frage, welche Formen von Gewalt es gibt. Jemanden zu schlagen ist körperliche Gewalt, da sind sich alle einig. Aber wie ist es, wenn einem der Stinkefinger gezeigt wird? Ist das mündliche Gewalt, weil er sich mit vielen Schimpfworten übersetzen ließe? Oder vielleicht doch eher seelische Gewalt? Die Klasse 3b ist sich unsicher, genau wie bei der Frage, ob man die Polizei rufen sollte, wenn man auf dem Schulhof bedroht wird. Aber für diese Momente ist Trainerin Anja da, sie holt die Kinder dort ab, wo sie sich in der Diskussion im Kreis drehen, bringt die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer ins Spiel und gibt Tipps für den Umgang mit Ärger auf dem Nachhauseweg. Die Lehrerin der 3b genießt es, ausnahmsweise nur in der Beobachterrolle zu sein und die Kinder nochmal ganz anders kennenzulernen.

Die 4c steht vor einer schwierigen Aufgabe. Die Schülerinnen und Schüler sollen auf dem Boden liegende Pappteller umdrehen, sich die Nummer auf der Rückseite merken und später den richtigen Teller wiederfinden. Dabei gilt es, ein komplexes Regelwerk zu beachten: keiner darf losrennen, bevor der Trainer nicht „Los“ gerufen und in die Hände geklatscht hat. Jede und jeder darf höchstens drei Teller umdrehen. Keiner der Teller darf am Ende einen Knick haben… Und spätestens beim zehnten Versuch muss es klappen, sonst ist das Spiel verloren. Runde um Runde misslingt, und der aufmerksame Beobachter merkt, wie die Wut auf den Trainer, der so streng ist, und die Klassenkameradinnen und -kameraden, die etwas falsch gemacht haben, steigt. Aber am Ende gewinnt die 4c, es gibt nicht nur Bonbons, sondern auch die Erkenntnis, dass weder der Trainer noch einzelne Kinder Schuld waren, sondern die Aufgabe nur im Team gelingen konnte. Das Schlüsselwort NIPSILD, Akronym aus dem Satz „Nicht in Problemen, sondern in Lösungen denken“, nehmen die Viertklässlerinnen und Viertklässler genauso aus der Woche mit wie den Hinweis, dass im Wort „Verantwortung“ das Wort „Antwort“ drinsteckt.

Bloß nichts verknicken – hier ist Teamwork gefragt.

Schade, dass nun die Sommerferien vor der Tür stehen, findet die Lehrerin der 4c. So kann sie nicht mehr verfolgen, wie das Gelernte sich nun im Schulalltag umsetzen lässt. Umso besser, dass Schule, Schulelternbeirat und Förderverein sich bereits darauf geeinigt haben, das Projekt in Zukunft jedes Jahr an die Schule zu holen. Für das kommende Schuljahr ist bereits ein Termin vereinbart. So wachsen die Heinrich-Mumbächer-Kinder vier Jahre lang zu selbstbewussten und rücksichtsvollen Menschen heran. Prima Klima!